Barsinghausen/Hannover. Am morgigen Dienstag beginnt der vierte Prozesstag gegen zwei Autofahrer, die sich laut Anklage der Staatsanwaltschaft im Februar 2022 ein Autorennen in Barsinghausen geliefert haben. In der Folge starben zwei kleine Kinder, die in einem entgegenkommenden Fahrzeug saßen. Der bisherige Prozessverlauf stützt eher die Anklageschrift als die Version der Angeklagten. Ein Ersthelfer sorgte am vergangenen Prozesstag (Freitag, 3. März) für bedrückende Stille im Gerichtssaal – und zwei weitere Zeugen belasten die Angeklagten weiter..
Am letzten Freitag wurden am Nachmittag noch weitere Zeugen gehört. Deren Aussagen hat es in sich.
Eine 27-jährige Gehrdenerin und ihr damaliger Freund (21) fuhren am Tag des Unfalls mit seinem Auto von Kirchdorf in Richtung Egestorf auf dem Kirchdorfer Rehr. Fahrer und Beifahrerin schilderten in getrennten Vernehmungen mit eigenen Worten den Verlauf. Sie fuhren über die Straßenkuppe als plötzlich unmittelbar vor ihnen und auf ihrer Spur der A6 der Angeklagten E. P. auftauchte. Der Fahrer konnte in letzter Sekunde ausweichen, dann krachte es hinter ihm mehrfach. „Die kam mit einer affenartigen Geschwindigkeit um die Kurve“, beschrieb die Beifahrerin das Geschehen. Die Angeklagte habe in der Kurve noch einmal einen „Schub“ gegeben, um am Cupra vorbeizukommen. „Der Audi war da auf der Höhe der Fahrertür des Cupra und beschleunigte weiter. Die Frau starrte uns erschrocken an und machte Lenkbewegungen“. Ihr damaliger Freund sei geistesgegenwärtig auf den Grünstreifen ausgewichen, aus den Augenwinkeln habe sie gesehen, wie der A6 dann ins Schleudern geriet. Sie schätzte die Geschwindigkeit auf über 100 km/h. Noch heute habe sie Angstzustände beim Autofahren. Offenbar machte diese Schilderung die Angeklagte E. P. betroffen, denn sie stand auf und sagte unter Tränen: „Es tut mir so leid. Ich wollte nur überholen. Es tut mir leid“. Der damalige Freund der Zeugin brüllte beim Erblicken des A6 nach eigenen Angaben: „Was stimmt mit denen denn nicht?“. Der Audi sei an seinem Auto regelrecht vorbeigeflogen.
„Es ist ein 107!“
Der nächste Zeuge, ein 28-jähriger Polizeibeamter, der allerdings nicht im Dienst war, sorgte für Gänsehaut im Gerichtssaal. Er sei auf dem Fahrrad an die Unfallstelle gekommen und wollte sofort Erste Hilfe leisten. Das Trümmerfeld und die zahlreichen schockierten Personen hielten ihn nicht ab. Durch die Frontscheibe des Nissans konnte er auf der Rückbank ein Kind erkennen. Sofort kletterte er in das Wageninnere und benutzte ein Messer, um den Sicherheitsgurt zu durchtrennen. Das Kind gab er an weitere Helfer nach draußen. Dann erfuhr er, dass ein weiteres Kind im Auto sein solle. Er suchte und fand den Zweijährigen unter den frischen Einkäufen der Familie. Eine massive Kopfverletzung raubten ihm jede Hoffnung auf ein gutes Ende. Seinem Schwiegervater, ein inzwischen pensionierter Polizeibeamter, der auch an der Einsatzstelle half, gab er den Polizei-Code „107“ durch, damit die Angehörigen im Auto nicht damit konfrontiert wurden. 107 ist das Kennwort für „Leiche“. Im Gerichtssaal herrschte eisige Stille.
Ein unbekannter Ersthelfer habe dem 28-Jährigen gesagt, die Audi-Fahrerin hätte gesagt: „Was habe ich nur getan?“. Er selbst kam am Freitag im Landgericht zu einer einfachen Zusammenfassung: „Es war das dramatischste, was ich je als Polizist erlebt habe.“ Der Vater der beiden getöteten Kinder bedankte sich öffentlich im Gerichtssaal für die Hilfe des 28-jährigen Polizisten.
Angeklagter wird noch am Unfallort verdächtigt
Zum Abschluss des Prozesstages wurde ein 75-jähriger Barsinghäuser angehört. Er war der Fahrer des letzten verunfallten Fahrzeugs, eines Ford Kuga, der hinter dem Wagen der Familie fuhr. Er selber habe kaum etwas von dem Unfall gesehen, führte er aus: „Nur wie der A6 den Nissan von der Straße geschossen hat und dann mit meinem Wagen zusammenstieß“. Sein Ford Kuga habe zwar einen Totalschaden, er selbst war aber unverletzt – und seine Dashcam zeichnete alles auf. Er stieg aus und lief zu dem Audi der Angeklagten E. P.: „Sie wirkte weggetreten, hatte lange Haare, Sie fragte: ´Was ist los?´“. Später saß der Zeuge dann in einem Sanitätsbus, vor ihm saß der Angeklagte M. S. „Ein Polizist kam in den Bus und sprach S. an: `Ich glaube, Sie waren auch Schuld an dem Unfall.´“ Der Zeuge habe dann etwas später das Gespräch gesucht. M. S. habe ihm gesagt: „Die Audi-Fahrerin war Schuld“.
Die Frage der Schuld wird das Gericht voraussichtlich am 30. März bewerten, zumindest ist dann die Urteilsverkündung geplant. Am morgigen Dienstag beginnt der vierte Prozesstag. Es sollen weitere Zeugen und auch der Unfallgutachter zu Wort kommen. Vielleicht werden die Angeklagten erste Fragen beantworten. Bereits am Mittwoch geht es dann mit dem fünften Prozesstag weiter.