Anzeige
Anzeige
Anzeige

Doppelmord in Holtensen: In dubio pro Reo?

Anzeige

Region/Holtensen. Heute findet der 7. Prozesstag seit dem Auftakt am 21. Dezember im "Doppelmord in Holtensen" statt. Dem Angeklagten Ayas A. (23) wird zur Last gelegt, den Kfz-Meister Karsten U. im Juni in dessen Haus in Holtensen (Wennigsen) heimtückisch und aus Habgier mit mehreren Messerstichen getötet zu haben.

Anzeige

Als die Ehefrau des Getöteten, Sabine U., den Angeklagten bei oder kurz nach der Tat angetroffen habe, soll dieser auch die Ehefrau nach einem Kampfgeschehen mit mehreren Messerstichen getötet haben, um seine vorherige Straftat zu verdecken. Das Ehepaar verstarb noch am Tatort. Der Angeklagte bestreitet die Tat und berichtet von Schockanruf-Trickbetrügern, die das Ehepaar ausnehmen wollten und scheiterten. Diese Variante wurde sich auch in Holtensen erzählt. Das Ehepaar hätte kurz vor seinem Tod in einer privaten Runde davon berichtet. Der Angeklagte A. hatte sich bei seinen Aussagen wiederum in Widersprüche und Ungereimtheiten verstrickt. Er wurde vom "Entdecker der Tat" zum Tatverdächtigen. Später soll er überfallen worden sein, die Staatsanwaltschaft hat Zweifel dazu angemeldet.

Prozess wird verlängert

Heute nun geht der Prozess weiter: reichen die Indizien, um den Angeklagten zu verurteilen oder ist die Darstellung mit den Trickbetrügern in Kombination mit fehlenden Beweisen und dem Überfall auf den Angeklagten ausreichend, um zur Erkenntnis "in dubio pro reo", im Zweifel für den Angeklagten, zu gelangen? Dazu werden heute mehrere Zeugen gehört. Klar war zu Beginn des 7. Prozesstages, dass das Ziel, bereits am Donnerstag zu einem Urteil zu kommen, nicht mehr haltbar ist: "Wir brauchen mehr Zeit", erklärte der Vorsitzende Richter Martin Grote. Es wurden bereits zwei bis drei weitere Prozesstermine vereinbart, nur die genauen Daten stehen noch nicht fest. Der Prozess wird sich voraussichtlich aber noch bis in den April ziehen.

Polizist: "Das wirkte alles unrund"

Als erster Zeuge kam ein Polizist aus Hannover in den Zeugenstand, der bei dem Überfall auf den Angeklagten als einer der ersten vor Ort war. Beim Ankommen vor der Werkstatt des Angeklagten kamen ihm bereits drei Personen entgegen, die er nur flüchtig wahrnahm. Beim Betreten sah er den Angeklagten auf dem Boden liegend und habe dem Polizisten berichtet, dass er von einem maskierten Täter mit einem Messer überfallen worden sei und dieser durch den Hintereingang geflüchtet wäre. Der Polizist verfügt auch über eine Sanitäter-Ausbildung und stellte schnell fest, dass es sich um keine schwere Verletzung handele: "Er wirkte recht klar und hatte keinen Schockzustand", erklärte er. Daher habe er sich auf die Täterverfolgung begeben und eilte durch die Hintertür. Als der 1,70-Meter-Mann dort allerdings auf einen hohen, vollständigen Zaun mit Stacheldraht stieß, brach er ab. Da der Täter als 1,60 Meter groß beschrieben wurde, kam ihm die Flucht über diesen Weg als "unmöglich" vor. Stutzig wurde der Polizist auch, weil das vermeintliche Opfer auf dem Boden lag, das Handy ein gutes Stück entfernt. Damit wollte er aber den Notruf abgesetzt und Freunde angerufen haben, die auch da gewesen seien. "Das wirkte alles unrund", berichtete der Polizist und zog den Schluss, dass die drei ihm entgegenkommenden Männer bei der Ankunft wohl die vermeintlichen "Freunde" gewesen sein müssten. Warum gingen die Freunde vor dem Eintreffen der Polizei und des Rettungsdienstes weg und ließen ihren Freund auf dem Boden liegen? 

Freundin: Am Mittwoch vor dem Mord gab es einen Schock-Anruf

Eine langjährige Freundin der Familie sagte als zweite Zeugin aus. Auch sie wohnt in Holtensen und hatte die beiden Getöteten am 10. Juni gegen 23 Uhr nach einer Geburtstagsfeier nach Hause gefahren. "Auf der Party war keine Rede von Problemen oder dergleichen". Auf Nachfrage teilte sie mit, dass ihr gegenüber Sabine U. das Verhältnis zu dem Angeklagten als unauffällig, eher sogar als gut bezeichnete. Sie habe zu Sabine U. einen engen Draht gehabt, telefonierte jeden Montag, Mittwoch und Freitag um 8.15 Uhr mit ihr. Nur am 13. Juni ging niemand mehr ans Telefon wie sonst. Schon am Samstag, 11. Juni, habe sie gegen 17 Uhr Zeitungen vorbeibringen wollen, aber niemand öffnete. Auch die Terrassentür war zu. Beim späteren Eintreffen der Polizei war diese Tür jedoch "auf Kipp" geöffnet, so gelangten die Rettungskräfte überhaupt erst ins Haus. Familie U. habe einen klaren Tagesablauf gehabt, weiß die Zeugin zu berichten. Daher sei sie schon am Samstag verwundert gewesen, dass niemand zuhause war. Auf Nachfrage teilte die Zeugin mit, sie habe schon am Samstag gerufen und auch gegen die Terrassentür gedrückt. Diese wird offenbar als wesentliches Indiz gesehen, denn Staatsanwaltschaft, Verteidigung und der Richter fragten dazu mehrfach nach. Hintergrund scheint zu sein, dass der Pathologe den Todeszeitpunkt nicht genau eingrenzen kann. Auf Nachfrage berichtete die Zeugin auch, dass ihr und anderen Personen bekannt gewesen sei, dass die Familie stets zwischen 50.000 und 100.000 Euro in bar zuhause hätten, um Strafzinsen zu sparen. Insgesamt wurde eigentlich immer und alles in bar bezahlt, erinnert sie sich. Wichtig für die Verteidigung wurde dann noch diese Aussage: Am Mittwoch vor der Tat bekam die Sabine U. einen Schockanruf, von dem sie der Zeugin berichtete. Jemand habe ihr mitgeteilt, dass ihre Tochter verhaftet wurde und sie viel Geld zu zahlen hätten. Ein Telefon-Spezialist der Kriminalpolizei wertete die Daten zu diesem Anruf aus und konnte eine Telefonnummer aus Großbritannien zuordnen, weitere Ermittlungen verliefen erfolglos.

Weitere Zeugenaussagen werden heute erwartet, der bisherige Prozesstag hat jedoch eher die Zweifel - sowohl am Angeklagten als auch an seiner Tatbeteiligung in Holtensen - größer anstatt kleiner werden lassen.