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125 Personen nahmen an der Veranstaltung „Ausstieg aus dem Extremismus“ des Niedersächsischen Verfassungsschutzes in den ver.di-Höfen in Hannover teil. Die siebte Veranstaltung aus der Reihe „Aktuell und Kontrovers“ des Niedersächsischen Verfassungsschutzes stand unter der Überschrift „Raus aus dem Extremismus: Chancen und Herausforderungen“. Die Teilnehmer des Podiums diskutierten, moderiert von Andreas Schwegel vom LKA Niedersachsen, über (De-)Radikalisierungsprozesse und Ausstiegsarbeit.
Der Niedersächsische Verfassungsschutzpräsident, Bernhard Witthaut, betonte in seinen Begrüßungsworten die wichtige Bedeutung von Aussteigerprogrammen in der Prävention. „Im Programm ‚Aktion Neustart – Rechtsextremismus‘ des Niedersächsischen Verfassungsschutzes wurden seit der Gründung 2010 bereits mehr als hundert Fälle bearbeitet. Dabei wurden vierzig Ausstiegswillige erfolgreich begleitet.“ Im 2016 gestarteten Programm „Aktion Neustart – Islamismus“ seien derzeit sechs Fälle in der aktiven Bearbeitung. Zwei Personen konnten bereits erfolgreich beim Ausstieg unterstützt werden. Auch aufgrund der zu erwartenden Rückkehrer aus den Krisengebieten in Syrien und dem Irak habe der Niedersächsische Verfassungsschutz „Aktion Neustart – Islamismus“ gerade um zwei weitere Mitarbeiter aufgestockt. Witthaut machte deutlich: „Wir müssen Prävention als wichtigen Teil der Sicherheitspolitik begreifen. Es ist daher auch wichtig, Menschen, die aus einer extremistischen Szene ausgestiegen sind, eine zweite Chance zu geben. Denn nur so können Bemühungen um (Re-)Integration erfolgreich sein und einer erneuten Hinwendung an die Szene wirkungsvoll vorgebeugt werden.“ Thorsten, ein Aussteiger aus der rechtsextremistischen Szene, berichtete über seine damalige Motivation, sich der Szene zuzuwenden und von den Wendepunkten, die ihn dazu bewegten, auszusteigen. „Für mich war nicht die Ideologie ausschlaggebend, sondern das Bedürfnis nach Anerkennung und Abenteuerlust und endlich die Chance, dazuzugehören.“ Letztlich habe er sich aufgrund einer schweren Straftat und einer Gefängnisstrafe entschieden, sich von der Szene abzuwenden. Thomas Mücke, Geschäftsführer des Violence Prevention Network, sprach über die Probleme, die sich beim Ausstieg ergeben können. „Ein Aussteiger muss Distanz zur Szene halten und die Gesellschaft muss bereit sein, diesen wieder in die Gesellschaft aufzunehmen. Deshalb sind Aussteigerprogramme wichtig, weil sie den Ausstiegswilligen bei der Bewältigung dieser Herausforderungen unterstützen können. Als Ausstiegshelfer müssen sie hartnäckig bleiben und einen oft jahrelangen Prozess zuverlässig begleiten.“ Benno Köpfer, Referatsleiter der Analysegruppe Internationaler Extremismus und Terrorismus im Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg, erklärte, dass es bei den Motiven zur Hinwendung zu einer Szene häufig starke Ähnlichkeiten bei Rechtsextremismus und Islamismus gebe. „Die Rolle von Religion kann im Islamismus sehr unterschiedlich sein. Während manche Islamisten ihre Religion sozusagen ohne theologische Kenntnisse zusammenstellen, gibt es durchaus auch solche mit fundierten Kenntnissen der Religion.“ Strittig sei die Frage, ob eine theologische Begleitung beim Ausstieg aus dem Islamismus in jedem Fall einen positiven Prozess auslöse. Christopher Krumm, Referent für das Aussteigerprogramm Linksextremismus „left“, das vor wenigen Monaten im Ministerium des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen eingerichtet wurde, berichtete von den bisherigen Erfahrungen. Ein Großteil der Fälle stamme aus dem Bereich auslandsbezogener Linksextremismus. „Da das Programm noch jung ist und bislang wenige Erfahrungen mit der Ausstiegsbegleitung von Linksextremisten vorliegen, müssen wir zunächst beobachten, ob und wie das Programm angenommen wird. Für uns steht der Mensch im Mittelpunkt. Der Anspruch des Programmes ist es daher auch, den Menschen – unabhängig davon, ob eine Gefährdung oder eine soziale Ächtung vorliege – bei der Reintegration zu unterstützen.“ Die Referenten betonten die Wichtigkeit eines vielfältigen Angebots im Bereich der Ausstiegsarbeit. Dennoch sei eine Verstetigung von häufig nur kurzfristig geförderten Programmen notwendig.
Im Laufe der Diskussion wurden unter anderem die deutlich gestiegene Rolle neuer Medien bei der Vernetzung und Rekrutierung innerhalb extremistischer Szenen, die Notwendigkeit einer kombinierten Strategie aus Antigewalt- und Ideologiearbeit und die zunehmende Bedeutung der Frauen in den Szenen thematisiert.