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Glyphosat - weder Fluch noch Segen

Hemmingen.

Knapp 40 Besucher (ca. 1/3 davon Landwirte) des 34. Grünen Stadtgespräches „Glyphosat – Segen oder Fluch“ sorgten im Wohnzimmerambiente des „Alten Schulhauses“ in Hemmingen für einen intensiven und persönlichen Kontakt. Hatte man angesichts des plakativ formulierten Veranstaltungsthemas eine hitzige Auseinandersetzung befürchtet, wurde man schnell eines Besseren belehrt. 

Als erste stellte die grüne Landtagsabgeordnete Miriam Staudte ihre kritische Position gegenüber Glyphosat als einem Breitbandherbizit darstellen. Nicht nur dass alle Ackerwildpflanzen in einem Brachialeingriff abgetötet würden, auch die Folgeschäden für die Biodiversität seien offensichtlich und in ihrer Komplexität bisher kaum erfasst. Obwohl Glyphosat ein Herbizid sei, habe es auch direkte negative Auswirkungen auf tierische Lebewesen, deren Darmflora geschädigt werde. Staudte verwies auf den gerade erschienenen „Insektenatlas“ des BUND und der Böll-Stiftung. Nach ihrer Ansicht profitieren die Hersteller von Pestiziden am meisten von der Verwendung der chemischen Mittel.

Im Anschluss machte Cord Baxmann seine Motivation als Biobauer deutlich. In ruhigen Worten beschrieb er seinen Werdegang, wie er als Jungbauer noch mit seinem Vater in den 70-er Jahren die Ernte einbrachte. 120 Zentner Weizen pro Hektar waren damals eine gute Ausbeute, heute müssen es dafür doppelt so viel sein. Die Landwirtschaft stand an einem Scheideweg. Um zu solch einer Steigerung zu kommen, mussten die Produktionsprozesse durch Einsatz von Agrarchemie (z.B. Kunstdünger, Pestizide, Insektizide) optimiert werden. Aber schon damals wusste man, dass diese Entwicklung Folgen für die Natur haben werde. Cord Baxmann entschied sich für einen anderen Weg, der nicht so effektiv (weniger Ertrag) und nicht so effizient (höherer Arbeitsaufwand) sei wie der der konventionellen Landwirtschaft. Trotzdem ist es eine Erfolgsgeschichte geworden, nicht zuletzt wegen der Direktvermarktung.

Dirk Wulkopf, ebenfalls Landwirt aus Hiddestorf, kennt aus eigener Erfahrung diverse Ressentiments gegen die konventionelle Landwirtschaft und beschrieb, wie er selbst Glyphosat einsetzt. Aus dem großen Anwendungsspektrum  bedient er sich nur in einem Teilbereich. Auch das Problem des Krebsrisikos konnte er nachvollziehbar für sich relativieren unter Hinweis auf die Unbedenklichkeitsbewertung durch neun nationale und internationale Institutionen gegenüber der Bewertung der Weltgesundheitsorganisation: wahrscheinlich krebserregend, vergleichbar mit der Gefährdung beim Verzehr von rotem Fleisch. Im Vergleich mit den Problemen beim Einsatz eines Pfluges sah er sogar ökologische Pluspunkte beim Glyphosateinsatz. Zum Schluss äußerte Wulkopf noch die Sorge, dass eine totale Ächtung der bisherigen Pflanzenschutzmaßnahmen zu schweren Strukturbrüchen in der Landwirtschaft führen könnte.

In der anschließenden lebhaften Diskussion wurde deutlich, dass ein Glyphosatverbot keine Lösung sei, da sofort ein Ersatzpräparat auf den Markt käme. Vielmehr stehe der Einsatz von Herbiziden stellvertretend für grundlegende Strukturprobleme im Landwirtschaftsbereich. Agrarprodukte unterliegen den Mechanismen eines globalisierten Marktes. Die Zwänge etwa zur Produktion zu Weltmarktpreisen erforderten optimierte Produktionsprozesse. Die dazu kaum ersetzbaren Helfer
würden durch "Großkonzerne der Agrarchemie" bereitgestellt. Patentrezepte zum Ausstieg seien nicht in Sicht. Wenn jedoch die Gesellschaft eine Umsteuerung in der Landwirtschaft wünsche, sei das nur im Lastenausgleich möglich.

Ein junger Landwirt aus Hiddestorf berichtete von einem Projekt, das Landwirte befähige, Ackerwildkräuter wieder in der Feldflur anzusiedeln. In der Aussicht, demnächst einen Hof zu führen, zeigte er sich sehr interessiert, Projekte solcher Art zu verfolgen, auch wenn sie zu Ertragseinbußen führten. Ein Landwirt, der so etwas betreibe, erfülle mit der Wiederherstellung von Biodiversität einen gesellschaftlichen Auftrag und müsse auch dafür einen finanziellen Ausgleich erhalten. In diesem Zusammenhang beklagte der Dikussionsteilnehmer auch die unzureichende Erforschung von ökologischen und Strukturwandelproblemen an den Hochschulen und Universitäten.

Ein Vorschlag, der direkt auf die Stadt Hemmingen zielt, kam von Dirk Wulkopf, der als Vorsitzender der Flurbereinigungskommission vorschlägt, beim Bereinigungsverfahren im Zusammenhang mit dem Bau der B3-Umgehung Flächen anzukaufen zum Einrichten von Ackerwildkräuterblühstreifen an Feld und Gewässerrändern.


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