Weetzen/Region. Thomas Bensch, Ortsbürgermeister von Weetzen, richtet sich nach negativen Erfahrungen als Berufspendler und der nicht enden wollenden Kritik an dem S-Bahnbetreiber Transdev an den Verkehrsdezernenten der Region. Es folgt der offene Brief, in leicht gekürzter Fassung: .
„Sehr geehrter Herr Ulf-Birger Franz,
ich richte mich an Sie in Ihrer Funktion als Verkehrsdezernent der Region Hannover.
Wenn auch in den vergangenen Monaten schon vielfältig über die mangelhafte Netzversorgung der neuen S-Bahn Hannover (Transdev) berichtet wurde und Ihnen das Thema hinlänglich und in der Tiefe bekannt sein dürfte, erlaube ich mir, Ihnen die detaillierte Sichtweise eines "Berufspendlers" zukommen zu lassen.
Ich habe seit Beginn des Betreiberwechsels der S-Bahn-Linien S 1 und S 2 im Juni dieses Jahres eine Art Pendlertagebuch geführt. Ergänzend erlebt meine Tochter ebenso die täglichen Verspätungen, sodass sie regelmäßig zu spät zu ihrer Ausbildungsstelle kommt, was beim Arbeitgeber schon negativ aufgefallen ist. Ebenso gehen mir als Ortsbürgermeister von Weetzen seit Monaten ungebrochen vielfach Beschwerden zu diesem Themenkomplex zu. Einleitend möchte ich noch ausführen, dass ich zwischenzeitlich seit 22 Jahren Pendler auf der Strecke Weetzen (über die Deisterstrecke) - Haste - Minden bin. Ich habe mich also bereits vor langer Zeit bewusst dazu entschieden, den öffentlichen Nahverkehr zu nutzen. Ich bin diesbezüglich ein absoluter Verfechter dieser Verkehrsform, (…).
Einführend zu meinen Aufzeichnungen erlaube ich mir noch einige Feststellungen:
▪ Mein Pendlertag beginnt zumeist um 05.23 Uhr. Schon zu dieser Zeit kommt der Zug regelmäßig verspätet in Weetzen an. Als Grund wird oftmals genannt: "Verspätung aufgrund der Verspätung eines Vorzuges". Und das, obwohl morgens auf diesem Streckenabschnitt noch kein großer Verkehr vorherrscht.
▪ Zum Feierabend kommt es sehr oft vor, dass der Anschlusszug in Haste verpasst wird. Falls es planbar ist, ist für diesen Streckenabschnitt zwischenzeitlich die Westfalenbahn die sicherere Alternative. Dann einige zusammengefasste Fakten aus meinen Aufzeichnungen. Insgesamt habe ich vom 23.06. bis zum 31.10.2022 an 63 Tagen den Zug genutzt oder nutzen wollen:
▪ Lediglich an 13 von 63 Pendlertagen hatte ich das Vergnügen, ohne Komplikationen pünktlich zum Dienst und wieder nach Hause zu kommen.
▪ Auf der morgendlichen Hinfahrt hatte ich 27 Tage mit mindestens 30 Minuten Verspätung.
▪ Auf dem Rückweg betraf dies insgesamt 23 Tage.
▪ Im Rahmen der Hinfahrt Weetzen-Haste-Minden hatte ich insgesamt 1.157 Verspätungsminuten.
▪ Auf der Rückfahrt Minden-Haste-Weetzen waren es zusammen 996 Minuten
Glücklicherweise kann ich bedingt auf Gleitzeit ausweichen, aber trotzdem hat mich dies viel nachzuholende Arbeitszeit, aber auch Freizeit und somit Lebenszeit gekostet.
Auch wenn es eher eine traurige Feststellung ist, kann der Fahrplan der S-Bahn-Hannover aktuell lediglich als Anhalt interpretiert werden.
Auch der Streckenabschnitt zwischen Bantorf und Haste bedarf einer besonderen Erwähnung. Es scheint immer mehr "Mode" zu werden, Verspätungsminuten wieder hierdurch hereinzuholen, indem dieser Streckenabschnitt ab Bantorf nicht mehr bedient. Dies bedeutet für "durchfahrende" und in Bantorf oder Bad Nenndorf zusteigende Pendler, dass zwischen zwei Zügen teilweise für eine Stunde kein Angebot einer S-Bahn zur Verfügung steht. Gleiches zählt dann auch von Haste in Richtung Bantorf. Darüber hinaus scheint die S-Bahn Hannover auch kein gesteigertes Interesse daran zu haben, die Züge mit genug Personal auszustatten. Oder selbiges zieht es vor, die Fahrt im "gesicherten" Bereich zu verbringen. Auch wenn ich hier leider keine genauen Aufzeichnungen geführt habe, sieht man maximal auf jeder zehnten Fahrt Zugpersonal. Morgens eigentlich nie. Die Fahrkartenkontrolle mal ganz ausgeblendet, findet so auch keine soziale Kontrolle (subjektives Sicherheitsgefühl) des Betreibers in den Zügen statt. Ist dies nicht sogar ein Vertragsbestandteil? Oder wird hier auf dem Rücken des Auftraggebers gespart? Von der Überprüfung der Einhaltung der Maskenpflicht ganz zu Schweigen.
Ich möchte nicht ausblenden, dass es auch bei der alten S-Bahn zwischenzeitlich Probleme gab. Aber niemals in dieser "Qualität" und Stetigkeit! Im Ergebnis kann ich trotz der generell positiven persönlichen Einstellung zum öffentlichen Nahverkehr aktuell niemanden empfehlen, diese Verkehrsform mittels der Transdev zu nutzen. Ebenso bedarf das eigene Pendlerverhalten der Überprüfung. Zu diesem traurigen Schluss scheinen zwischenzeitlich bereits viele alte Dauerpendler gekommen zu sein. Von der Vielzahl bekannter „Gesichter“ auf dieser Strecke ist nur eine Handvoll übrig geblieben. Und die meisten von ihnen hatten die Belastungen in der Corona-Zeit noch durchgehalten. Sie sind erst in den vergangenen Monaten abgesprungen.
Unter diesen Rahmenbedingungen stellt sich mir auch als Kommunalpolitiker die Frage, wie wir gemeinsam die Ziele des Verkehrsentwicklungsplans 2035+ - „Aktionsprogramm Verkehrswende“ erzielen wollen, wenn so ein elementarer Baustein wie die S-Bahn diese Ziele konterkariert.“
Mit freundlichen Grüßen
Thomas Bensch