Ronnenberg.
Velislava Todorova, vor 18 Jahren in Bulgarien geboren und zur Zeit auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz in der Region Hannover, begrüßte Ronnenbergs Bürgermeisterin Harms herzlich im Volkshochschulkurs „Berufsbezogene Deutschförderung für die Arbeitsmarktintegration“.
Der Kurs in der Empelder KGS, in dem 13 Migranten, EU- Bürger aus Osteuropa und Flüchtlinge aus dem Mittleren Osten, Deutsch als Sprache der Verständigung im Berufs- und Alltagsleben lernen, hatte Stephanie Harms nicht nur aus politischem Interesse eingeladen: Alle Teilnehmer hatten sich in der Stunde zuvor ein eigenes Thema herausgesucht, nicht nur um sie und ihre politische Arbeit kennenzulernen – sondern auch um sich in Interviewgestaltung zu üben und auf diese Weise die eigenen Deutschkenntnisse zu erweitern.
Velislava, von allen nur Veli genannt, die die Aufgabe der Moderatorin übernommen hatte, kündigte Harms an, dass die verschiedenen Teilnehmer darauf warteten, ihr insgesamt 32 Fragen zu stellen, und dass sie anschließend auch gemeinsam einen Zeitungsbericht über das Treffen schreiben würden. So ist dieser Text entstanden, der hier gerade zu lesen ist: ein Gemeinschaftswerk des Deutschkurses.
Bevor Kursteilnehmerin Meryem, die aus der Türkei stammt, aber schon seit 17 Jahren in Ronnenberg zu Hause ist, Harms gezielt zur Person und zu ihrem Werdegang befragte, stellte die Bürgermeisterin sich selbst vor: Sie ist 45 Jahre alt, hat Betriebswirtschaft studiert, als Prüferin im Bereich Wirtschaftsprüfung und Steuerberatung gearbeitet. Auf weitere Fragen zur Person sagte sie, sie habe sich schon früh für Politik interessiert und sei als CDU-Kandidatin in den Rat der Stadt Ronnenberg gewählt worden. Vor vier Jahren wurde sie dann von der Mehrheit der Bürger zur Bürgermeisterin gewählt.
Kasar, 21 Jahre alt, kam im Mai 2016 als Flüchtling aus dem Irak. Sie stellte Fragen zum Amt der Bürgermeisterin und zum Arbeitsalltag. Harms antwortete: Sie beginnt jede Woche am Montagmorgen mit einer dreistündigen Sitzung, in der sie mit den engsten Mitarbeitern aus der Verwaltungsspitze abspricht, was in der Woche zu tun ist und wer mit seiner Abteilung für die Lösung der einzelnen Aufgaben zuständig und verantwortlich ist. Als Bürgermeisterin ist sie die Chefin von insgesamt 400 männlichen und weiblichen Beamten und Angestellten der Stadtverwaltung. Außerdem sitzt sie im Rat der Stadt. Als Bürgermeisterin bereitet sie die einzelnen Sitzungen vor, informiert den Rat über ihre Arbeit und stellt Anträge, über die der Rat abstimmt. Dabei achtet sie besonders darauf, dass die Bürger in allen sieben Stadtgemeinden gleich gut von der Stadt behandelt werden. Auf die Frage, was ihr an ihrem Amt am wenigsten gefällt, sagt sie, dass es ihr gar nicht gefalle, dass man als Bürgermeisterin nicht auf Lebenszeit gewählt wird. 2021 findet die nächste Wahl statt, sie möchte gerne als Bürgermeisterin wiedergewählt werden.
Fariha, 22 Jahre alt und in Kabul geboren, stellte Fragen zu Problemen der Stadt Ronnenberg, Ilias, aus dem Iran nach Deutschland gekommen, wollte wissen, welche Ziele Stephanie Harms sich in ihrer Amtszeit gesetzt hat. Fariha war aufgefallen, dass Windkraftanlagen im Stadtgebiet fehlen und viele Straßen trotz ihres schlechten Zustands noch nicht ausgebessert worden sind. Harms korrigierte: Es gibt eine Windkraftanlage in Linderte. In den anderen Gemeinden Ronnenbergs seien die Flächen und Windverhältnisse ungeeignet. Zu den Straßen und Gehwegen sagte sie, dass ein Programm zur Ausbesserung abgearbeitet werde, die Abarbeitung aber noch lange dauern werde, weil der Straßenbau sehr teuer ist und die Stadt zu wenig Geld hat. Fariha fragte auch danach, ob es Wohnungsnot gibt und warum die Flüchtlinge alle am Seegrasweg untergebracht sind. Dazu erläuterte Harms: „Es stimmt schon! In vielen der 128 Wohnungen am Seegrasweg leben Flüchtlinge. Die Stadt wollte die Flüchtlinge in Ronnenberg verteilen und eine Durchmischung erreichen, aber die für den Seegrasweg zuständige Region weigert sich noch.“ Es seien aber Gespräche darüber im Gang, und am Seegrasweg seien zwei Wohnungen für Sozialarbeiter und ehrenamtliche Helfer reserviert, damit die Flüchtlinge vor Ort bei der Integration unterstützt werden könnten. Auf die Frage nach der Wohnungsnot war die Antwort der Bürgermeisterin: „Ja! Schon vor Ankunft der Flüchtlinge gab es nur sehr wenige leerstehende Wohnungen. Ronnenberg als Wohnort ist sehr begehrt.“ Deshalb seien auch die Neubauten am Seegrasweg nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Die Stadt habe zwar eine Planung für den Wohnungsbau bis ins Jahr 2030 entwickelt, aber das Problem sei noch lange nicht gelöst.
Damit war Harms bei den Fragen von Ilias und der Darstellung ihrer Ziele angekommen. Drei Dinge seien ihr besonders wichtig, sagte sie:
1. 2021 sollen alle Eltern ihren Wunschplatz für ihr Kind in Kita oder Hort bekommen.
2. Ein besserer Internetzugang soll die Stadt moderner und die Gestaltung von Plätzen beispielsweise am Ententeich und am zentralen Busbahnhof soll sie lebenswerter machen.
3. Die hohen Schulden, die die Stadt zwingen, Zinsen für Kredite zu bezahlen, sollen abgebaut werden. Auf die Zusatzfrage von Ilias, ob sie eher eine konservative oder eine innovative Bürgermeisterin sei, antwortete sie: In Fragen der Familienfürsorge sei sie wie ihre Partei CDU schon immer konservativ. „Aber“, ergänzte sie, „die Familie heute sieht anders aus. Auch Frauen wollen arbeiten und Kinder müssen außerhalb der Familie betreut werden. Deshalb bin ich da nicht ganz so konservativ wie andere in meiner Partei.“
Mustafa, 33, vor zwei Jahren aus Syrien geflohen, hatte die Fragen, wo im Etat das Geld herkommt und wo es hinfließt, ob Ronnenberg eine Finanzkrise hat oder genug Geld da ist und wie das Geld verteilt wird. Die Antwort von Harms: Einerseits kommt das Geld aus der Gewerbesteuer der Firmen und Betriebe in Ronnenberg, andererseits aus einem Teil der Einkommenssteuer und aus Zuschüssen von Bund und Land. Ein Schwerpunkt des Etats liegt auf Ausgaben für Kinder, Jugendliche und Familien: Viel Geld geht in den Bau und die Unterhaltung von Schulen, Kindergärten und Spielplätzen. Die Schulden der Stadt seien immer noch sehr hoch, deshalb müssten einerseits für große Projekte Kredite aufgenommen werden, andererseits gehe es darum, Altschulden und Überziehungszinsen abzubauen. Bilal aus Syrien, seit zwei Jahren in Deutschland, stellte Fragen zur Zusammenarbeit der Bürgermeisterin mit Rat und Verwaltung und mit anderen Bürgermeistern.
Harms sagte dazu: Sie ist Chefin von 400 Mitarbeitern in der Verwaltung, zur Hälfte Erzieherinnen und Betreuungskräfte für Kinder. Ohne den Rat dürfe sie fast nichts allein entscheiden. Ausnahmen: Umsetzungen von Mitarbeitern innerhalb der Verwaltung und kleinere Ausgaben für die Büros. Mit den Bürgermeistern der Umgebung arbeite sie regelmäßig zusammen. Sie würden sich gegenseitig helfen, auch wenn sie aus unterschiedlichen Parteien kommen.
Auf die Fragen von Carolina, die aus Polen zu ihrem Freund nach Deutschland gezogen ist, Harms dem Kurs ganz klare, eindeutige Antworten zu ihren politischen Zukunftsvorstellungen: Sie möchte gerne 2021 für eine zweite Amtszeit kandidieren. Und sie denkt nicht daran, Bundestagsabgeordnete zu werden. Arbeit für die Bürger direkt vor Ort gebe ihr viel mehr Zufriedenheit als weit weg von Ronnenberg in Berlin.
Michaela, 30, aus Bulgarien stellte zum Schluss Fragen, die die Teilnehmer auch ganz persönlich betreffen: Wie sieht es aus der Sicht der Bürgermeisterin mit der Integration von Ausländern und Geflüchteten in Ronnenberg aus? Harms schätzt die Situation im Vergleich zu 2015 als entspannt ein. Zur Zeit leben 416 Flüchtlinge unter den 25000 Einwohnern Ronnenbergs. Alle sind untergebracht. 2015 dagegen kamen jede Woche 30 neue Flüchtlinge und man wusste nicht wohin mit ihnen. In diesem Jahr sind insgesamt nur noch 50 gekommen, obwohl 160 angekündigt waren. – Doch nun geht es um Integration, das eigentliche Problem: um das Erlernen der Sprache, das Lernen in der Schule, die Eingliederung in den Beruf. Das sei viel schwerer. Harms zeigte sich begeistert von der Gruppe, von ihrer Kommunikationsfreudigkeit und von den Sprachkenntnissen der Teilnehmer. Sie meinte, sie als Flüchtling in Syrien würde bestimmt nach nur zwei Jahren die fremde Sprache nicht so gut sprechen, wie die Teilnehmer des VHS – Kurses dies im Gespräch mit ihr getan hätten. Sie bot ihre Hilfe und Beratung bei künftigen Fragen und Problemen der Integration an – und wurde auch gleich von einigen Teilnehmern darauf angesprochen, welche Unterstützung sie bei einer Existenzgründung oder einer Bewerbung um einen Ausbildungs- oder Studienplatz geben könne.
Ganz am Ende stellte Martin, 30, vor zwei Jahren aus dem Irak geflohen, noch eine Frage, die alle zum Lachen brachte. Im Irak, so berichtete er, bekomme der Bürgermeister Bodyguards und einen Dienstwagen zur privaten Nutzung. Wie das denn hier in Ronnenberg sei, wollte er wissen. Nach langem fröhlichen Lachen erklärte Harms: „ Bodyguards sind leider überhaupt nicht drin. Und dienstlich unterwegs bin ich mit meinem Privatauto, aber dafür bekomme ich immerhin von der Stadt Benzingeld. Trotzdem: Bürgermeisterin zu sein macht mir sehr viel Freude.“ Nach 90 Minuten verabschiedete Moderatorin Veli im Namen aller Kursmitglieder Bügermeisterin Harms mit den Worten: „Wir bedanken uns herzlich dafür, dass Sie mit uns so viel Zeit geteilt und uns so viel Aufmerksamkeit geschenkt haben.“
Dieser Artikel wurde gemeinsam von den Mitgliedern des Empelder VHS-Kurses verfasst.