Anzeige
Anzeige
Anzeige

Prozess Kirchdorfer Rehr | Arbeitskollegen: „Schnelles Fahren ist ihr Ding“

Die Angeklagte E. P. (hinter einer Akte versteckt) wird in den Gerichtssaal gebracht. Der wegen Beihilfe Angeklagte M. S. (vorne, verpixelt) sitzt bereits neben seinen Verteidigern.

Anzeige

Barsinghausen/Hannover. Der vierte Prozesstag gegen zwei Autofahrer, die sich laut Anklage der Staatsanwaltschaft im Februar 2022 ein Autorennen in Barsinghausen auf der Straße Kirchdorfer Rehr geliefert haben, ist in vollem Gange. In der Folge des Unfalls starben zwei kleine Kinder, die in einem entgegenkommenden Fahrzeug saßen. Die Eltern der beiden getöteten Kindern waren heute wieder beide im Gerichtssaal und verfolgten den Prozess.

Anzeige

Zwei Arbeitskollegen der Angeklagten E. P. waren heute als Zeugen geladen. Eine Entlastung brachten sie für die 40-Jährige allerdings nicht – eher das Gegenteil.

Arbeitskollegen wundern sich über teure PS-starke Autos

Ein 55-Jähriger sagte aus, dass die Angeklagte im Unternehmen durchaus bekannt sei. „Sie erzählte manchmal, wenn sie wieder geblitzt wurde“. Die PS-starken Fahrzeuge fielen auf dem Parkplatz auf. „Sie erzählte, dass sie an einem Tag wieder zwei Minuten schneller zur Arbeit gekommen sei als ihr Rekord war. Ich habe ihr dann gesagt sie müsse vorsichtiger fahren“. Der Arbeitskollege will ihr auch gesagt haben, dass wenn sie einen "Kick" suche, doch auf der Nordschleife fahren solle. Die Blitzer-Fotos und Belege schicke sie zu ihrer Schwester nach Polen, soll P. gesagt haben, denn wenn die ihren Führerschein verlöre, sei das nicht so schlimm. Ihre rasante Fahrweise habe er auch auf dem werkseigenen Parkplatz sehen können. Unter den Kollegen herrschte große Verwunderung, wie sie sich als Putzkraft diese teuren Fahrzeuge leisten könne. Zu einem Kollegen habe E. P. nach dem Unfall gesagt, dass der Cupra-Fahrer sie nicht habe einscheren lassen. In einer Sache waren sich die Kollegen alle einig: „Schnelles Fahren ist ihr Ding“. Man kenne die Fahrzeuge auf dem Firmenparkplatz und könne diese den Mitarbeitern zuordnen. Nach dem Unfall sei ein neuer Passat gesehen worden, der dann E.P. zugeordnet wurde, so der 55-Jährige. Zu dem Zeitpunkt hatte E.P. schon keinen Führerschein mehr.

„Warum kommt eine Putzfrau im 60.000 Euro Auto zur Arbeit?“

Noch deutlicher wurde ein 34-jähriger Kollege, der die Angeklagte seit etwa fünf Jahren beruflich kennt. E,P. sei als „Schumi“, oder „Bleifuß“ auf der Arbeit bekannt gewesen. Beide wohnen auch in einem östlichen Barsinghäuser Ortsteil in einer Mehrfamilien-Wohnanlage. „Ich bin einmal bei ihr mitgefahren, weil wir gleiche Schichten hatten. Danach nie wieder“, unterstrich er. Auf der einen Seite habe sie in ihrem damaligen neuen Auto unsicher gewirkt, gleichzeitig aber sehr aggressiv gefahren. Er schätzte, dass E.P. innerorts teilweise zwischen 80 und 100 km/h und außerorts bis zu 160 km/h gefahren sei. Weitere gemeinsame Fahrten habe er abgelehnt, sie auf dem Arbeitsweg aber öfter auf der Straße wieder getroffen. „Wir haben den gleichen Fahrtweg, wenn ich sie in meinem Rückspiegel gesehene habe, war nie die Frage, ob sie überholt, sondern nur wann.“ Auch am Kirchdorfer Rehr habe sie ihn überholt, selbst als noch fünf Fahrzeuge zwischen ihnen waren. „Eigentlich hat mich da sonst nie einer überholt, weil alle vorsichtig auf dieser Strecke sind.“ In den etwa fünf Jahren, in denen er sie kenne, habe sie fünf oder sechs unterschiedliche Fahrzeuge gefahren: „Audi, Mercedes, Landrover“, zählte er einige Marken auf. Nach dem Unfall habe er öfter einen Passat auf ihrem „Stammparkplatz“ am Wohnort gesehen. Einmal sei sie dort auch vom Fahrersitz ausgestiegen. „Sie erzählte manchmal auch von Fahrten und gab dann Zeiten zu den Strecken an, die eigentlich nicht schaffbar erschienen“, erinnert sich der 34-Jährige. Auch der zweite Zeuge berichtete von der Verwunderung der immer neuen und teuren Fahrzeuge, obwohl sie als Putzkraft beschäftigt war. „Es wurde über die Kontakte nach Polen gemunkelt. Wir dachten alle, irgendetwas stimmt da nicht“, drückt der Zeuge sich vorsichtig aus, „Aber es ist ihre Privatsache, wir wussten auch nicht, was der Mann so macht. Mein Gefühl war, je weniger ich darüber weiß, umso besser.“ Es wunderte ihn nicht, dass manche nicht mit der Polizei über E.P. reden wollten. Er beschrieb E.P. aber grundsätzlich als nette Kollegin, die Kommunikation sei manchmal schwer gewesen und sie wirkte immer etwas überdreht und unter Volldampf.

Gibt es einen Arbeitszeitnachweis als glaubhaftes Alibi?

Den Beweis über den Arbeitsnachweis am Unfalltag blieb die Verteidigung schuldig. Die Angeklagte hatte am dritten Prozesstag berichtet, dass sie nicht die von Zeugen gesehene Fahrerin sein konnte, da sie erst zu einer bestimmten Zeit ausgestempelt habe. Die Kollegen heute konnten nicht mit Gewissheit sagen, ob es zu dem Zeitpunkt des Unfalls bereits eine elektrische Erfassung der Arbeitszeit gab – oder ob diese handschriftlich eingetragen wurde. Dem Richter lag auf Nachfrage beim Arbeitgeber eine Tagesliste vor, aus der hervorgeht, dass E.P. von 5.45 Uhr bis 16 Uhr gearbeitet hat.

Polizist empfand Reaktion auf Todesnachricht als „gleichgültig“

Ein 59-jähriger Polizist, der dem Verkehrsunfalldienst zugeordnet ist, berichtete, dass er am Unfalltag erst gegen 19.30 Uhr vor Ort eingesetzt war. Am Folgetag war er es, der der Angeklagten E. P. den Führerschein im Krankenhaus abnehmen sollte und ihr das Fahren von Fahrzeugen entsprechend untersagte. Außerdem überbrachte er die Todesnachricht der beiden Kinder. Aus seiner Sicht habe die Angeklagte darauf gleichgültig reagiert. Er wollte aber nicht ausschließen, dass die Medikamente oder die Sprachbarrieren einen Anteil daran hatten.

„Wir beiden haben Gas gegeben, mal der eine, mal der andere“

Die Angeklagte E. P. äußerte sich anschließend auf Fragen des Richters. Sie habe drei Fahrzeuge überholt, der Cupra sei der letzte Wagen vor ihr gewesen. Da dieser sich nicht ohne weiteres überholen ließ, war sie unsicher, was sie tun sollte. Schließlich scherte sie nach heutiger Aussage hinter dem Cupra ein und kam dann ins Schleudern. Der Richter fragte verwundert nach, da E.P. noch am ersten Prozesstag aussagte und der Unfallhergang keine anderen Schlüsse zulässt, dass sie vor dem Cupra einscherte und dabei ins Schleudern kam. Doch sie erinnere sich genau, wiederholte die Angeklagte zur Verwunderung der Anwesenden im Gerichtssaals. Der Verteidiger des Angeklagten M. S. konnte dabei ein Schmunzeln kaum verbergen. „Wir beiden haben Gas gegeben, mal der eine, mal der andere“, führte P. dann weiter aus.

E. P.: „Ich halte mich immer an die Regeln, andere fahren noch schneller als ich“

Es handele sich bei der Unfallstrecke um ihren täglichen Arbeitsweg von Egestorf kommend über den Kreisel nach Wennigsen. Dort arbeitet sie 150 Meter Luftlinie neben der Arbeitsstätte des Angeklagten M. S.. Diese Strecke bringe wenig Stadtverkehr mit sich. „Ich halte mich immer an die Regeln, andere fahren noch schneller als ich“, konstatierte sie. Sie arbeite in Wennigsen seit 2018, habe in dieser Zeit nur drei Fahrzeuge gehabt, immer Audis. Die anderen Fahrzeuge seien immer nur Ersatzfahrzeuge gewesen, wenn ihr Wagen in der Werkstatt war. Und auch der neue gebrauchte VW Passat sei gar nicht ihr Wagen, sie habe das Fahrzeug (33.000 Euro) für einen Freund (wohnhaft in Hannover) gekauft, der den Kaufpreis dann an sie zurückbezahle wollte. „Er hat mir geholfen, als mein Mann in Polen in U-Haft saß und ich helfe jetzt ihm“, erklärte die Angeklagte. Er soll sie auch in dem Passat zu Terminen gefahren haben. Auf die Nachfrage des Richters, woher das Geld für die Autos stamme sagte sie, dass sie mal ein Haus habe kaufen wollen, das habe sich nicht ergeben, daher habe sie entsprechend Geld für Autos ausgegeben. Der Unfallwagen war erst drei Monate in ihrem Besitz.

Vielleicht wollte der Audi die Kurve schneiden?

Die Verteidigung des Angeklagten M. S. betonte nochmals, das ihr Mandant um 16.05 Uhr noch einkaufen war und somit unmöglich nahezu zeitgleich in Barsinghausen hätte gesehen worden sein, wie es am dritten Verhandlungstag eine Zeugin aussagte. Er sei mit 110 bis 120 km/h vom Egestorfer Kreisel aus Richtung Kirchdorfer Kreisel gefahren, habe nur ein Fahrzeug überholt. Vor der Kurve bremste er, damit der Audi der E. P. einscheren konnte. Vielleicht wollte der Audi die Kurve schneiden, mutmaßte der Angeklagte. Unter Tränen erklärte er, er wisse nicht, warum er an diesem Tag genau diesen Weg gewählt hatte. Zuvor hatte er ausgesagt, dass er gewöhnlich über Degersen, Redderse und Langreder auf die Umgehungsstraße nach Barsinghausen fahre.

Bericht des Pathologen ist zu viel für die Mutter

Schließlich kam der Pathologe (61) zu Wort, der die beiden toten Kinder untersuchte. Der Richter warnte die Mutter vor dem Bericht: „Sie müssen und sollten sich das nicht antun.“ Sie verließ den Saal, während ihr Mann blieb. Minutenlang trug der Pathologe dann den Bericht vor, an dessen Ende feststand, dass der Zweijährige am Unfallort aufgrund eines Kreislaufschocks und bei vollständiger Durchtrennung der unteren Hohlvene und des Rückenmarks verstarb. Der Sechsjährige wurde unter Reanimation in ein Krankenhaus verbracht, wo er am Abend an einem Herz-Kreislauf- und Atemversagen unter Abriss der rechten Wirbelsäulen-Arterie und des gesamten Halsapparats verstarb. Auf Nachfrage des Richters betonte der Pathologe: „Die Gurtmarken sind gut sicht- und nachvollziehbar gewesen“.

Im weiteren Verlauf des bislang längsten Prozesstages stellte der Unfallanalytiker Clemens Rehse als Gutachter seine Erkenntnisse dem Gericht vor. Außerdem versuchte die Verteidigung zu erklären, warum E.P. darauf bestand, dass sie hinter dem Cupra eingeschert sei, obwohl alle Beweise und Zeugen Aussagen das Gegenteil aussagten. Auch das Dashcam-Video wurde gesichtet.

Anzeige
Anzeige