Gehrden.
Der Gehrdener Jakob Awik, Hauptgeschäftsführer der Architektenkammer Niedersachsen im Ruhestand, hat Einspruch gegen den Bebauungsplan 52 (Markt) erhoben und einen Appell zum Erhalt des historischen Ensembles an die Stadt Gehrden geschickt . CON veröffentlich ihn im Wortlaut:
"Gehrden bezieht seine Attraktivität nicht zuletzt durch seinen historischen Bezug. Eine monotone Fläche aus Neubauten würde nichts mit dem Charme Gehrdens zu tun haben. Die besonderen Bauten der Vergangenheit, welche es so liebenswert gemacht hatten, in Gehrden zu leben, sind leider weitgehend verschwunden, so zum Beispiel das Herrenhaus - die Franzburg - , das attraktive und nach dem Kriege noch benutzte Berggasthaus Niedersachsen, der korrespondierenden Bau gegenüber dem Türmchen auf dem Laging- Grundstück, wodurch gleichsam eine Eingang nach Gehrden gebildet wurde, die Räuberhöhle, das Gehrcke Haus, das nie wieder so entstehen wird wie es war, und viele andere alten Bauten, welche die besondere Atmosphäre der Stadt schufen. Mit jedem Verschwinden eines historischen Baues werden die restlichen historischen Bauten um so wertvoller. Irgendwann dürfte ein Zeitpunkterreicht sein, an welchem man stutzen sollte, weitere Zeugen der Vergangenheit zu vernichten.
Der Markplatz ist das Herzstück einer jeden Stadt mit Geschichte. An den schönen Marktplätzen deutscher Städte ist es vor allem das historische Flair, das uns anzieht. Bekanntlich hat Hildesheim selbst ein nach dem Kriege errichtetes Hotel abgerissen, um die Atmosphäre der Altstadt am Markt wieder erlebbar zu machen. Darum ist auch der Widerstand in der Bevölkerung in Gehrden so groß, wenn der Marktplatz als das zentrale Herz einer Stadt beeinträchtigt werden soll. Es wäre ein trauriger Treppenwitz, wenn nach einem eventuellen Abriß des Bratschhauses in einigen Jahren ein vermögender Gehrdener mit Liebe zu seiner alten Heimat den Neubau abreißen ließe, um mit viel Mühe das frühere Fachwerkhaus wieder entstehen zu lassen.
Dass das Bratschhaus einen wesentlichen Bestandteil des Marktplatzes in seinem Wert für die Bevölkerung darstellt, hat auch die Denkmalpflege bestätigt, indem sie das Haus unter Ensembleschutz gestellt hat. Gerade eine öffentliche Institution wie die Stadt Gehrden sollte im Denkmalschutz vorbildlich sein, verlangt sie doch oft durch Auflagen von den Bürgern kostspielige und von diesen kaum zu verstehende Opfer.
Es ist sicher gut, wenn eine Stadt nach Wachstum strebt, aber neben der Quantität ist auch die Qualität eines Ortes zu berücksichtigen. In einer öffentlichen Sitzung äußerte eine engagierte Bürgerin, daß die Orte rund um Gehrden ihre Historie schätzen, nur Gehren darin ein eklatantes Defizit aufweise.
Ganz gleich wie gut das neue Haus wird, es kann nie den Bezug zur Historie vermitteln, welches das gegenwärtige Haus ausstrahlt. Wie viele Gehrdener Bürger haben in seiner Nähe auf dem Markt ihre Wochenmärkte und Weihnachtsmärkte besucht, mit dem Bild des Fachwerkbaues im Hintergrund in der Erinnerung.
Aus der Nähe sieht man manche Werte oft nicht so klar, ein räumlicher oder zeitlicher Abstand lässt sie oft besser erkennen. Für mich, als vor einer Generation aus Berlin Zugezogener, stellt ein solcher historischer Bau am Marktplatz einer Stadt in der Nähe einer nach Margareta aus Antiochia benannten Kirche aus dem 13. Jahrhundert einen in dem Ensemble wertvollen, Heimat schaffenden Bau dar.
Auch in zeitlichem Abstand wird man möglicherweise im Falle eines Abrisses einen solchen Vorgang später bedauern und die Tat unverständlich finden und die Täter als an kulturellem Defizit leidend mit mangelndem Verantwortungsgefühl für das Traditionsbild der Stadt brandmarken. .
Ich hörte jemanden, der meinte, das alte Dreckding von Haus gehörte nur weg. Ich kenne einen intelligenten Ingenieur aus der DDR, der für die Beseitigung seiner heruntergekommenen Altstadt stimmte. Als er nach der Wende sah, was man aus heruntergekommenen Häusern machen kann und wie schön sie nach der Renovierung sind, hatte er seine Meinung fundamental geändert. Kein Haus ist so heruntergekommen, dass man es heutzutage nicht wunderbar renovieren kann.
Fast jede historische Stadt hat eine Burg, ein Schlösschen oder ein Herrenhaus. Gehrden hat sein Herrenhaus abgerissen. Und nicht nur das. Es hat es abgerissen, obgleich der Herr des Herrenhauses ein Grundstück für den Bau eines Krankenhauses gespendet hatte mit der Auflage, das Herrenhaus zu erhalten. Manche meinen, nachdem die Stadt das Herrenhaus abgerissen hat, müßte es das Grundstück an die Erben des Herren zurückgeben. Lassen wir die Frage dahingesellt, auf jeden Fall hat die Stadt jetzt nicht die Arbeit und die Kosten, das Herrenhaus zu erhalten. Als kleine Wiedergutmachung könnte sie jetzt das Bratschhaus erhalten, sie kommt dabei günstiger weg und kann ihr Gewissen dabei etwas beruhigen.
Es heißt, die Eigentümerin will das Haus nicht an die Stadt verkaufen. Schwierigkeiten sind dafür da, um überwunden zu werden. Es ist doch eine schöne Herausforderung für die Leitung einer Kommune, wenn sich Widerstände vor einem Ziel auftun, dessen Erreichung für die Bürger ein Gewinn ist.
Dass die Eigentümerin das Gebäude derzeit nicht an die Stadt verkaufen will, mag zum einen den Grund haben, dass es in der Vergangenheit atmosphärische Störungen oder Mißverständnisse gab. In der Zeit der modernen Mediation sollte eine geeignete Persönlichkeit zu finde sein, diese Mißverständnisse der Vergangenheit ausräumen.
Was die wirtschaftliche Seite angeht, könnte die Stadt bei ihren dauernden Neubaugebieten der Eigentümerin ein Grundstück anbieten, welches die wirtschaftlichen Aspekte voll befriedigt. Auch der Architekt würde sicher froh sein, unbeeinträchtigt von den Zentimetervorgaben einen schönen Neubau zu erstellen.
Es ist bei der bestehenden Konstellation die klare Aufgabe der Stadt Gehrden, dieses Haus als Teil des Marktensembles zu erwerben und zum Wohle der Stadt und deren Bürger zu nutzen. Dann kann die Stadt bestimmen, was darin und daran passiert. Die Ausstellungen der Stadt würden in dem Bau mehr besucht, als im jetzigen Rathaus. Die Stadtverwaltung dehnt sich aus und hätte hier einen weiteren Bau, sogar in Rathausnähe. Ehrenamtlichen Gruppen, welche derzeit keine Räume habe, könnten angemessene Räume angeboten werden, wie zu Archivierungsarbeiten des Heimatbundes. Der Weihnachtskalender könnte weiter an dem Fachwerkhaus zum Markt hin Freude bereiten. Das Glockenspiel, das wegen des Lärms nicht mehr am Ratskeller mit seinen Gästen angebracht ist, könnte wieder erklingen. Und wenn man in der Eisdiele sitzt, kann man auch weiterhin sinnend auf ein Fachwerkhaus blicken und nicht das Baugeschehen eines Neubaues vor der Nase haben.
Mit dem Kauf des Gebäudes durch die Stadt und dessen Erhalt würden auch die ganzen Forderungen der Bürgerinitiativen und Einzelbürger und der Kirche nach Abstand, First- und Traufenhöhe befriedigt werde und die Stadt hätte nicht nur eine gute Tat vor der Geschichte Gehrdens vollbracht, sondern auch aktuell gegenüber vielen ihrer lebenden Bürger.
Der wohl schönste Blick in Gehrden ist beim Heraustreten aus der ehemaligen Post auf die Kirche, mit dem alten Ratskeller rechts und dem Fachwerkhaus links, wenn die Sonne das alles in güldenes Licht taucht. Lassen wir uns diesen Anblick erhalten."